Emotionale Erpressung: Auswirkungen auf die Beziehung und Wege, sich dagegen zu schützen
„Wenn du nicht brav bist, dann …!“, so lautet ein Satz, den viele Kinder im Laufe ihrer Kindheit zu hören bekamen. Das psychische Element dahinter wirkt nach und tritt auch später in Beziehungen wieder ans Licht. Emotionale Erpressung zählt zu den Formen psychischer Gewalt, die vor allem in Paarbeziehungen auftreten. Es gibt allerdings Wege, sich dieser Form der emotionalen Manipulation zu entziehen.
Die gute Nachricht ist, dass es oft nur einer Verhaltensänderung bedarf, um sich von emotionaler Erpressung zu lösen. Das gilt sowohl für Erpresser als auch für den oder die Erpresste/n. Die schlechte Nachricht allerdings lautet: Es kann schwer sein, lange eingeübte Verhaltensmuster aufzulösen.
Gefühlsfalle Schuldgefühle
Emotionale Erpressung geht mit Schuldgefühlen einher. Typische manipulative Sätze, die in diesem Zusammenhang häufig fallen, sind beispielsweise:
- „Wie konntest du nur?“
- „Ich bin schwer enttäuscht von deinem Verhalten/von dir.“
- „Wenn man sich liebt, dann macht man das nicht.“
- „Du bringst mich noch ins Grab, so wie du dich verhältst.“
- „Wenn du meinst, dass du das so/alleine machen musst.“
- …
Das eine oder andere begegnet einem „einfach so“ im Beziehungsalltag, manchmal hat man es sicherlich auch schon gegenüber dem Partner geäußert. Kritisch im Sinne von psychischer Gewalt wird es allerdings dann, wenn emotionale Erpressung zur typischen Beziehungskommunikation gehört.
Der erpressende Part setzt auf Schuldgefühle, um seine Ziele zu erreichen. Ziele sind unter anderem Kontrolle, stetige Aufmerksamkeit durch den erpressten Part und damit eine Aufwertung des eigenen Selbstwertgefühls.
Der erpresste Part dagegen übertritt konstant seine eigenen Grenzen, um den Erpresser gütig zu stimmen. Oder auch: um ihn oder sie bei Laune zu halten und Streit zu vermeiden.
Das geht so weit, dass letztlich Freundschaften zerbrechen, geliebte Hobbys aufgegeben oder eigentlich typische Verhaltensweisen unterlassen werden. Alles „dem Partner zuliebe“, der durch Schuldgefühle das Verhalten seines Opfers steuert.
In einer stabilen und gesunden Beziehung sind Kompromisse wichtig und üblich, allerdings gehen die Täter bei emotionalen Erpressungen deutlich weiter. Typischerweise normale Beziehungskommunikation, in der jeder einmal die Richtung vorgibt, findet hier nicht statt. Generell gibt es immer einen, der Schuldgefühle bewusst oder unbewusst vorantreibt und manipulativ einsetzt – und einen, der genau das geschehen lässt.
Beispiele für solche Verhaltensmuster:
- Der Mann möchte mit Freunden einen gemütlichen Abend verbringen. Seine Partnerin unterstellt ihm mangelnde Liebe – schließlich würde er seine Zeit ja viel lieber bei ihr verbringen als mit Freunden, wenn er sie wirklich liebte. Zum Beweis genötigt, sagt der Partner seinen Abend mit den Freunden ab und bleibt bei der Partnerin.
- Die Frau entscheidet sich zu einer neuen Frisur, die sich deutlich von der bisherigen unterscheidet. Der Partner reagiert mit körperlichen Beschwerden wie Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen, weil seine Partnerin gar keinen Wert auf seine Meinung gelegt und sich ohne Rücksprache mit ihm zu einer Veränderung entschieden hat. Bei der nächsten Entscheidung wird die Frau ihren Partner erst informieren und nachfragen, um dem armen Partner die körperlichen Beschwerden zu ersparen.
- Auf die Spitze getrieben: Ein Mann trennt sich im Streit von seiner Partnerin. Sie droht an, sich das Leben zu nehmen und fingiert einen Selbstmordversuch. Ihr Ex-Partner fühlt sich davon unter Druck gesetzt und kehrt zu ihr zurück, um sie zu stabilisieren und in der Hoffnung, dass die gemeinsame Liebe diese Handlung irgendwie wieder rückgängig machen kann.
Am Ende schlagen sich die ungesunden Beziehungsmuster in handfesten gesundheitlichen Risiken nieder:
- physische Beschwerden wie Atemnot oder Schlafstörungen
- psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angst- und Panikattacken
- psychische Narben, die sich negativ auf künftige Beziehungen auswirken können
Manipulative Kommunikation: Täter- und Opfersicht
Die Eigen- und Fremdwahrnehmung ist hier leider stark verschoben. Das macht es für beide Beteiligten so schwer, das manipulative Muster überhaupt wahrzunehmen und dagegen vorzugehen. Denn natürlich liebt man sich und wünscht sich, den Partner glücklich und zufrieden mit der Beziehung zu erleben.
Der Erpresser: Er sieht sich selbst als Opfer. Der Partner
- vergisst ihn,
- nimmt ihn nicht wahr,
- erfüllt seine Wünsche und Bedürfnisse nicht,
- verbringt nie genug Zeit mit ihm,
- nimmt nie genug Rücksicht auf ihn.
Emotionale Erpressung findet häufig in Beziehungen statt, bei denen der Erpresser mit einer narzisstisch geprägten Persönlichkeitsstruktur gekennzeichnet ist.
Seine Schuldzuweisungen sind geschickt verpackt. Zusammen mit leidvollen Seufzern, Augenrollen, Stoßseufzern und Sätzen wie den oben bereits genannten macht er seinem Partner klar, wie schwer er es mit ihm hat. In seiner eigenen Wahrnehmung ist er derjenige, der geduldig und liebevoll auf die „Macken“ seines Partners reagiert, der verständnisvoll zurücksteckt und sich nicht scheut, dem Partner Auswege aus Konflikten zu lassen. Gleichzeitig wird er permanent enttäuscht, zurückgestellt und wenig geachtet. Teilweise ist die Angst vor eigener Unzulänglichkeit die Triebfeder, teilweise ist es fehlende Selbstachtung oder mangelndes Selbstwertgefühl.
Dass das mit einem Seufzen herausgestoßene „Na, dann geh doch mit deinen Freunden aus, wenn du meinst, dass das wichtig ist“ genau das gegenteilige Verhalten beim Partner bewirkt, fällt dem erpressenden Part nicht unbedingt auf. Das Einlenken des Partners wird im Verlauf der Beziehung allerdings immer häufiger erwartet. Kommt es zu Gegenwehr, stürzt das den manipulativen Part in eine schwere Krise. Der geliebte Partner scheint plötzlich noch egoistischer zu werden, sich nur noch um sich selbst zu kümmern und keinerlei Rücksicht mehr zu nehmen.
Die Erpressung kann im Verlauf der Zeit so massive Züge annehmen, dass sich der Erpresser genötigt fühlt, immer härtere Geschütze aufzufahren. Ernsthafte Erkrankungen, die eigene Vernachlässigung bis hin zu Zusammenbrüchen oder starken Verletzungen sind die Folge. Die Drohung, sich bei Trennung selbst etwas anzutun, ist in der Regel eine der äußersten Formen der emotionalen Erpressung. Reicht die Drohung allein nicht aus, schreitet der Erpresser auch zur Tat – im festen Glauben, dass allein das mangelnde Zugeständnis des Partners schuld daran sei.
Der Erpresste: So sehr er sich auch abmüht, er kann seinem Partner nie wirklich das Gefühl geben, sich wohlzufühlen. Nie scheint es genug zu sein. Aus Liebe zum Partner und um ihm dieses Gefühl doch irgendwie zu geben, lässt er seine persönlichen Grenzen verschwimmen. Die Schuldgefühle über dieses „Nicht-Genügen“ trüben das Beziehungsglück, der Alltag besteht aus dem Versuch, es dem Freund oder der Freundin doch noch irgendwie recht zu machen. Jedes Scheitern lässt den Erpressten bei nächster Gelegenheit noch eher einlenken. Neben den Erwartungen des Ehepartners sieht sich der Erpresste auch den diffusen Erwartungen der Gesellschaft gegenüber. Denn bei der emotionalen Erpressung fallen auch häufig Sätze wie „Deine Mutter/Vater findet auch, dass du …“ oder „Was würde deine Freundin sagen, wenn sie wüsste …“. Das Ziel dahinter? Der Erpresste sollte sich besser dem Bild fügen, das scheinbar sowohl die Gesellschaft als auch der manipulierende Partner haben.
Die Wahrnehmung von Recht und Unrecht und der Zuordnung von Gefühlen fällt dem Erpressten ebenso schwer wie dem, der die Schuldgefühle hervorruft. Auf lange Sicht passiert es durchaus, dass sich auch der Erpresste irgendwann der emotionalen Erpressung zuwendet in der Hoffnung, nur irgendwie dem Druck und dem Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit zu entgehen. Das beschleunigt allerdings die negative Spirale aus Schuld- und Angstgefühlen noch weiter.
Wie emotionale Erpressung funktioniert
Häufig ist weder dem Erpresser noch dem Erpressten klar, was unterschwellig in der Beziehung geschieht. Der eine Part hungert immer weiter und weiter danach, dass ihm der Liebste/die Liebste endlich das ihm Zustehende liefert: Aufmerksamkeit, Verständnis, Rücksichtnahme oder uneingeschränkte Loyalität. Der andere Part scheint diesen Ansprüchen nie gerecht zu werden und scheitert dabei, den Partner zufrieden zu stellen. Schuldgefühle kennzeichnen seinen Alltag.
Über diese Spirale aus anscheinend zustehender Beachtung und daraus resultierenden Schuldgefühlen baut sich ein Teufelskreis auf. Der Erpresste bemüht sich um mehr Anteilnahme, steckt eigene Wünsche und Träume zurück, reißt eigene Grenzen permanent ein. Das macht es seinem Partner viel leichter, auch künftig seine eigenen Bedürfnisse durchzusetzen, ohne dabei wirklich zufrieden zu sein.
Langfristig zementiert sich dadurch eine Gefühlswelt, in der
- Ängstlichkeit
- Überforderung
- erdrückendes Schuldgefühl
- Rastlosigkeit und
- Unzufriedenheit
vorherrschen. Selbst der emotionale Erpresser hat in der Beziehung nur kurzfristig ein gutes Gefühl. Mittel- und langfristig ist er ähnlich unzufrieden in der Partnerschaft wie das Opfer, das sich für seine Bedürfnisse aufreibt.
Welche Auswege bieten sich?
Therapeuten beobachten das Phänomen, dass sich vor allem die Erpresser dafür einsetzen, dass die emotional Erpressten in Therapie gehen. Insbesondere, um das für Täter kritische Verhalten „verbessern“ zu lassen. Nimmt das Opfer also scheinbar zu wenig Rücksicht, fühlt sich der Täter zu wenig wertgeschätzt und beachtet, soll es der Experte in der Therapie richten.
Erst im Verlauf der Gespräche wird dann klar, wie manipulativ die Kommunikation in der Beziehung vonstatten geht. Häufig werden erst durch die therapeutische Begleitung solche Muster erkennbar. Der Opfer-Part beginnt erst dann, seine Grenzen deutlicher zu ziehen, Verantwortung für seine Entscheidungen zu übernehmen und die Schuldzuweisung abzulehnen.
Als Auswege aus einer solchen Beziehung bieten sich in der Regel nur zwei Wege an:
- Trennung mit aller nötigen Konsequenz oder
- Aufarbeitung der bisherigen Beziehung mit professioneller Unterstützung
Bei beiden Wegen fühlt sich der erpressende Part zunächst wie vor den Kopf gestoßen, schließlich sieht er sich in der Regel selbst als Opfer und hat meist nur wenig Schuldbewusstsein. Zugleich ist es für den erpressten Part schwierig, sich von den manchmal jahrelang erlebten Schuldgefühlen zu lösen.
Dieser Prozess kann sehr schmerzhaft sein – für alle Beteiligten.
Konkrete Strategien für den Umgang mit emotionaler Erpressung
Beziehungsprobleme bauen sich erst im Laufe der Zeit auf. Hat man den Verdacht, dass sich emotionale Erpressung und manipulative Kommunikation in die Beziehung einschleichen, können erste Strategien für eine partnerschaftliche Kommunikation ergriffen werden.
Der Erpresste kann beispielsweise
- für sich selbst Regeln aufstellen, wie er oder sie sich seine Beziehung wünscht – und wann er bereit ist, diese Regeln in Ausnahmefällen zu übertreten
- eigene Gefühle in den Fokus rücken, anstatt immer die Gefühle des Partners als wichtiger zu halten
- sich Zeit nehmen für Reaktionen und Antworten in typischen Konfliktsituationen
- in Ruhe Lösungsstrategien für diese typischen Konfliktmomente finden
Mithilfe von offenen Fragen an den Partner lässt sich auch vermitteln, dass man selbst mit unklaren Gefühlen kämpft: „Kannst du nachvollziehen, wie dieses Verhalten bei mir ankommt?“
Besonders schwer ist, nach einer langen Phase der manipulativen Kommunikation, das eigene Erleben wieder in den Fokus zu rücken. Sich selbst wichtig zu nehmen und die Verantwortung für anderer Leute Gefühle abzulegen, ist teilweise sehr schwer. In kleinen Schritten lassen sich diese Veränderungen eher umsetzen. Beispielsweise, indem man sich klarmacht, dass man immer nur selbst für seine Gefühle zuständig ist. Niemand sonst.
Wenn also wegen eines Missverständnisses ein Termin nicht gemeinsam eingehalten werden kann, ist das natürlich schade. Die Traurigkeit des Partners unterliegt aber der Verantwortung des Partners, er steuert seine Gefühle selbst und entscheidet sich auch bewusst oder unbewusst dafür, traurig zu sein. Das „macht“ niemand mit ihm, hier kann die Schuld nicht auf jemand anderen abgewälzt werden.
Beziehungsprobleme wie das Aufrechnen von Aufmerksamkeit und Fürsorge gehören ebenfalls oft in das Spektrum der emotionalen Erpressung. Auch hier kann es ein erster Schritt sein, sich auf eigene Wünsche und Bedürfnisse zu konzentrieren. Der Partner begleitet einen einfach nicht häufig genug ins Kino, bereitet einem nicht oft genug einen schönen Abend mit Kerzenschein und Co.? Dann kann Selbstfürsorge helfen. Anstelle des Partners eine Freundin zum Kino einladen und bewusst den Abend genießen oder sich mit einem Spa-Tag verwöhnen macht gleichzeitig unabhängig vom Partner und auch – glücklich.
Das Gefühl der innerlichen Zufriedenheit macht die bisherigen Muster der manipulativen Kommunikation dann hinfällig. Man kann den Partner und die Beziehung viel eher genießen und braucht sich in einer gesunden Beziehung keine Aufmerksamkeit durch Erpressung zu beschaffen.
Häufige Fragen zu emotionaler Erpressung
Was ist emotionale Erpressung?
Emotionale Erpressung ist eine Form der Manipulation. Der emotionale Erpresser nutzt Schuldzuweisungen und bestehende emotionale Abhängigkeiten aus, um den emotional Erpressten unter Druck zu setzen.
Emotionale Erpressung kann im Alltag zu einem Ungleichgewicht in der Beziehung führen, bei dem der Erpresser den Erpressten regelrecht isoliert.
Wie kommt es zu emotionaler Erpressung?
Oft liegt dieser Form der Manipulation ein geringes Selbstwertgefühl zugrunde. Zu wenig Liebe, zu wenig Wertschätzung, zu wenig Aufmerksamkeit sind Gründe, die für den emotionalen Erpresser völlig real erscheinen. Auch wenn es sich objektiv ganz anders darstellt.
Der emotionale Erpresser benötigt konstant Bestätigung durch den Partner. Damit das Feedback auch wirklich konstant bleibt, setzt der erpressende Part auf manipulativen Druckaufbau verbunden mit Schuldgefühlen. Sprich: Dem Erpressten wird zur Last gelegt, sich nicht ausreichend um den Erpresser zu kümmern, sich nicht genug einzubringen, nicht genug Opfer für die gemeinsame Liebe zu bringen.
Wie schütze ich mich vor emotionaler Erpressung?
Der erste Schritt lautet immer: Erkenntnis. Erst wenn du emotionale Erpressung klar erkennst, kannst du beginnen dich davor zu schützen.
Im zweiten Schritt musst du lernen, zwischen Fakten und Vorwürfen zu unterscheiden. Beispiel: Ein Abend mit Freunden ist normal und kein Beweis für mangelnde Liebe. Das gilt ebenso für Zeit mit der Familie oder für die Ausübung von Hobbys, wenn du gleichzeitig auch gern Zeit mit deinem Partner oder deiner Partnerin verbringst.
Im dritten Schritt muss die emotionale Erpressung adressiert werden. Dieser schwierige Schritt ist manchmal der Punkt, an dem vermittelnde Dritte gefragt sind. Für den emotionalen Erpresser sind Vorwürfe in diese Richtung nur schwer auszuhalten. Er fühlt sich ja wirklich nicht ausreichend geliebt und wertgeschätzt!
Und dann geht es darum, Grenzen zu wahren. In einer Partnerschaft sollte es schließlich nicht die Regel sein, dass sich einer permanent unter Druck gesetzt fühlt und aus Schuldgefühlen heraus handelt.
Wie ändere ich unbewusste Verhaltensmuster?
Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Trotzdem kann es schwer sein, unbewusste Verhaltensmuster ohne Hilfe von außen langfristig zu verändern. Entsprechend ausgebildetes Fachpersonal kann helfen, diese Mechanismen in der eigenen Sprache und im Verhalten aufzudecken und zu ändern.
Aktives Arbeiten am eigenen Selbstwertgefühl und daran, eigene gefühlte Unzulänglichkeiten nicht am Partner oder an der Partnerin auszuleben, gehört ebenfalls zu den nötigen Schritten.
Aber: Es lohnt sich, denn die (nächste) Beziehung wird sich deutlich verbessern, wenn manipulative Schritte wegfallen. Dann verschwindet langsam aber sicher das unangenehm nagende Gefühl, nicht liebenswert zu sein. Stattdessen sind liebevolle Gesten und gemeinsam verbrachte Zeit das, was sie sein sollten: freiwillige Zeichen der tiefen Verbundenheit und Liebe.